Intime Träumerey
Intime Träumerey
Die Einsamkeiten der Liebe bergen das schöpferische Genie
Szenen aus dem Leben Friedrich Hölderlins
im thematischen Dialog mit Werken
von Mozart, Schumann & Schubert,
erzählt von Peter Härtling
Klavier: Franz Vorraber
Mitschnitt einer Aufführung
im Schloss Bad Homburg, April 2007
Doppel-CD · DDD · BestellNr.: CC-KuK04 · Spielzeit: c. 111 Minuten
CD derzeit vergriffen
I
ntime Träumerey: "Die Einsamkeiten der Liebe bergen das schöpferische Genie"
Bergen diese Tragiken eine Notwendigkeit? Sind sie nicht Antrieb und Basis zur Schöpfung jener Werke, die von uns heute so bewundert werden? Denken Sie an den Knaben, welcher bemüht ist, dem Wunsche des Vaters zu entsprechen, oder an den Jüngling, der sich nicht das Mädchen nimmt, nicht erobert, sondern den hehren Werten der Minne nachstrebt und dann erschreckend ob der Triebhaftigkeit seines Wesens schweigt...
Diese Einsamkeiten sind wohl die Tragik jener Dichter und Komponisten, die in ihrer eigenen, von der Gesellschaft unverstandenen Welt leben und letztlich an der Zurückweisung ihrer Sensibilität scheitern. Peter Härtling und Franz Vorraber geben uns anhand ihres thematischen Dialoges mit Szenen aus dem Leben des Dichters Friedrich Hölderlin und Werken von Wolfgang Amadeus Mozart, Robert Schumann und Franz Schubert einen sensiblen Einblick in diese Tiefen. Sie zeigen uns die Parallelen zwischen den Genies, deren Genres und ihren Werken - Schöpfungen, die aus diesen Einsamkeiten entstanden sind.
Josef-Stefan Kindler
H
ölderlin, die Grafschaft Homburg und die Musik
Mein Versuch, wie Hölderlin von Frankfurt nach Bad Homburg zu wandern, scheiterte an den Autobahnen. "Die Schönheiten der hiesigen Gegend", die Silberpappeln, die er liebte, würde er heute nicht mehr wiederfinden. Also fuhr ich, als ich 1975 an meinem Hölderlin-Roman schrieb, in die Stadt seines Freundes Isaak von Sinclair. "Das Städtchen liegt am Gebirge, Wälder und geschmackvolle Anlagen liegen rings herum; ich wohne gegen das Feld hinaus, habe Gärten vor dem Fenster..." schreibt er an seine Schwester Heinrike. Sinclair hatte ihm beim Glasermeister Wagner in der Haingasse Unterkunft verschafft. Ich ging seine Wege nach und ließ mich bei jedem Besuch vom Schlosspark verzaubern, dessen selbstbewusste Intimität vom Wesen der landgräflichen Familie zeugt. Vor allem die Töchter, Auguste und Marianne, fühlen sich dem Dichter verbunden. "Am Hofe hat mein Buch einigermassen Glük gemacht..."; sein "Hyperion" wurde gelesen. "Die Familie des Landgrafen besteht aus ächtedlen Menschen, die sich durch ihre Gesinnungen und ihre Lebensart von anderen ihrer Klasse ganz auffallend auszeichnen", schreibt er seiner Mutter. Dennoch hielt er auf Distanz, "aus Vorsicht und um meiner Freiheit willen."
Der Hof stellte Hölderlin ein Klavier zur Verfügung. Wahrscheinlich hat Sinclair erzählt, wie sehr sein Freund die Musik brauche und wie sehr er sie liebe. In Frankfurt hat er oft mit Susette Gontard und ihrer Freundin Marie Rätzer musiziert. Schon darum hat er sich von der Mutter aus Nürtingen seine Flöte schicken lassen. Mit Susette hat er gelegentlich in Frankfurt Konzerte besucht. Welche Musik hat er gehört? Was haben Susette, Marie und er musiziert?
In keinem seiner Briefe wird der Name des Komponisten genannt. Bis auf einen. Im Sommer 1789, in seinem ersten Jahr auf dem Stift in Tübingen, nimmt er Flötenunterricht, bei dem berühmten Konzertvirtuosen Friedrich Ludwig Dülon. Er ist, als sie sich kennenlernen, ein Jahr älter als Hölderlin, von Kindheit an blind. Er kam aus Preussen, aus Oranienburg. Schon als Zwölfjähriger reiste er, begleitet von seinem Vater, durch Europa. Hölderlins Begabung beeindruckte ihn und er attestierte ihm, bei ihm "nichts mehr lernen" zu können. Wahrscheinlich haben sie gemeinsam im Stift konzertiert. Und es ist auch anzunehmen, dass Hölderlin Dülons Stücke für Flöte spielte. Immerhin ein Komponist seiner Zeit! Dülons von Wieland 1807 veröffentlichte Autobiografie "Des blinden Flötenspielers Leben" wird Hölderlin, inzwischen Gast Ernst Zimmers im Turm am Neckar, sicher nicht in die Hände bekommen haben.
Ich war mir mit Franz Vorraber rasch einig, welche Komponisten als geistige Gefährten Hölderlins zu hören sein sollten. Mozart hat er ohne Zweifel auf der Flöte und dem Klavier gespielt, durch Dülon mit ihm vertraut. Schumann wiederum hat in jener Zeit, als das Werk Hölderlins fast vergessen war, als Sechzehnjähriger den Hyperion gelesen; und eines seiner letzten Werke, "Die Gesänge der Frühe", sind in Erinnerung an diese Lektüre, an die Erscheinung Diotimas komponiert. Und Franz Schubert mit seiner grandiosen "Wanderer-Phantasie" ist dem Wanderer Hölderlin ohnehin nahe, diesem Dichter, dessen Wanderschritt auch das Mass seiner Verse ist.
Peter Härtling
M
ozarts Rondo D-Dur, ein tänzerisch heiteres Rondo, wie es nur Mozart schreibt, wird zu Beginn des Abends seiner c-Moll Fantasie gegenübergestellt. Ein ganz anderer Geist offenbart sich in diesem wahrhaft fantasierend, teilweise rezitativisch angelegten, dunklen Stück. Mozarts c-Moll ist voller Gegensätze im Charakter und im Wechsel der Tonarten. So wie später im c-Moll Klavierkonzert endet auch die Fantasie ohne jeden Kompromiss. Beethoven hat aus dieser Mozart-Fantasie einige Motive für seine dramatische Appassionata-Sonate entnommen.
"An Diotima" nach Friedrich Hölderlin lautet der ursprüngliche Arbeitstitel von fünf Stücken Robert Schumanns, die er später Bettina von Arnim widmete. Diese Gesänge der Frühe sind das letzte veröffentlichte Klavierwerk Schumanns vor seinem Selbstmordversuch und seinem zweijährigen Aufenthalt in der Nervenheilanstalt Endenich. Schumann war sehr belesen. Hölderlin, Diotima, seine eigene Geschichte mit Clara, die zu dieser Zeit zu Ende geht, und seine Fähigkeit, Vorahnungen in Musik umzusetzen, sind wohl nicht zufällig. Die Gesänge der Frühe haben eine ganz eigene Färbung. "Das Herannahen des Morgens", wie er schreibt, die rufende Quint, erinnert sowohl an Beethovens 9. Sinfonie als auch an seine Clara-Motive in der fis-Moll Sonate, der C-Dur Fantasie oder dem Klavierkonzert. Es ist eine Hoffnung auf Licht, eingebettet in eine Harmonik, die eine Schlusswirkung oft ausspart wie bei Brucknerschen Chorälen, kombiniert mit Querbezügen zu Beethovens letzter Sonate op. 111 in den Trillerfiguren des letzten der fünf Stücke. "Die Gesänge der Frühe sind charakteristische Stücke, die die Empfindungen beim Herannahen und Wachsen des Morgens schildern, aber mehr als Gefühlsausdruck, als Malerei", schreibt Schumann an seinen Verleger. Das Morgen als innerer Traum, abseits der realen Lebensumstände, die von Krankheit, Ehekrise, Verlust der Stelle als Musikdirektor in Düsseldorf und schließlich einem Selbstmordversuch, Entmündigung und Einlieferung in eine Anstalt gezeichnet sind. Dieses Morgen widmet Robert Schumann den idealen Frauengestalten Diotima, Bettina und seiner eigenen Frau Clara in Erinnerung einer idealen Liebe, mit Motiven aus der jugendlichen fis-Moll Sonate, die er fast 20 Jahre zuvor geschrieben hat. Sein Lebenswerk ist vollbracht. Ein befreiendes Verklingen macht die Gesänge der Frühe zu einem außergewöhnlichen Zeugnis seines Komponierens gegenüber seinem Schicksal - einem inneren Traum, den die Musik erhöht.
Franz Schuberts Ges-Dur Impromptu verwendet das "Wanderer-Motiv" leicht verändert in einer abgeklärten Stimmung. Es ist ein Spätwerk, das er in seinem letzten Lebensjahr geschrieben hat. Die zahlreichen harmonisch subtilen Wendungen lassen ein kleines kostbares Stück entstehen, das aber trotzdem den rhythmisch unerbittlichen, aber leisen Fluss des Werkes nie unterbricht.
Schuberts Wanderer-Fantasie ist 1822 bis 1823 entstanden. Zur selben Zeit schreibt Beethoven seine letzte Sonate op. 111. "Die Sonne dünkt mich hier so kalt", lautet der Text der Liedzeile des Schubert-Liedes "Der Wanderer", das dem Thema des 2. Satzes zugrunde liegt, welches den zentralen Variationssatz des Werkes bildet. Es ist ein kühnes, bis zu dieser Zeit einzigartiges Werk, dessen vier Sätze aus einem einzigen rhythmischen Motiv aufgebaut sind und das ohne Pause zu einem Ganzen zusammengesetzt ist. Obwohl der Titel "Wanderer-Fantasie" nicht von Schubert stammt, liegt durch den thematischen Kern der Bezug zum Lied "Der Wanderer" nahe. Dieses rhythmisch prägnante Fortschreiten findet sich zudem häufig in Schuberts Werken, etwa in der Winterreise oder den Moments musicaux. Das Wandern ohne Unterlass, ohne Halt, das unaufhörliche Fließen reißt alles mit sich. Vielleicht wird es durch den Traum unterbrochen, aber dieser unbändigen Kraft können wir uns nicht entziehen, und sie fordert letztlich eine Entscheidung. So erklingt dieses Werk am Schluss des Abends als Schuberts Ruf an den am Ende sich selbst unendlich fernen Hölderlin: "Ich bin Dir nah!" - dem ewigen Wanderer, der Du in Deinem einzigartigen Leben warst, das an der Einsamkeit des wahrhaft Liebenden zerbrach.
Franz Vorraber
D
urch Heinrich von Kleists Drama "Prinz Friedrich von Homburg" ist die ehemalige Residenz der Landgrafen von Hessen-Homburg vor den Toren Frankfurts weltbekannt geworden. Das Schloss mit seinen wundervollen Gärten gehört wohl zu den schönsten Barockanlagen Deutschlands. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die preußischen Könige und deutschen Kaiser, wohl auch wegen der erholsamen Lustbarkeiten in dem durch seine Heilquellen schon damals berühmten Bad "Homburg vor der Höhe", zwischen 1866 und 1918 nur zu gerne des Sommers hier verweilten. Selbst der Prince of Wales nebst höchstem englischen und russischen Adel suchte hier Kurzweil, Erholung und Heilung.
Die Kultur war an den Höfen Europas schon immer sehr facettenreich. Der gebildete Adel wusste um die Notwendigkeit der Förderung und Pflege der schönen Künste und schuf somit die Basis der Atmosphäre Europa. Vieles, was in bildender Kunst, Literatur und Musik keinen vordergründigen, marktwirtschaftlichen Wert besaß, fand Beachtung und Bewunderung und bildete die Grundlage unserer heutigen kulturellen Existenz und Identität. So ist es dem Mäzen Isaak von Sinclair zu verdanken, dass das Dichtergenie Friedrich Hölderlin künstlerisch entscheidende Jahre seines tragischen Lebens in Homburg verbrachte. Dem Landgrafen Friedrich V. widmete Hölderlin sein wohl bekanntestes Gedicht "Patmos". Eine Bronzeplatte mit dessen Anfangsversen bedeckt heute den Zugang zur Familiengruft der Homburger Landgrafen, die sich unter dem Chorraum der Schlosskirche befindet. Erhaltenswertes und hörenswert Neues, musikalische Kostbarkeiten aus Tradition und Avantgarde - beides undenkbar ohne den Nährboden Europa - dokumentieren wir in der Serie "Castle Concerts" an authentischer Stelle. Kaiser Wilhelm II. schuf in Bad Homburg durch die Stiftung einer Stadtkirche, wohl ohne es zu ahnen einen der schönsten und intimsten Konzertsäle Europas. Denn die bis dahin genutzte Schlosskirche mit ihrer prächtigen Bürgy-Orgel geriet in Vergessenheit und überstand somit die Wirren und den Modernisierungswahn des letzten Jahrhunderts - bis sich das "Kuratorium Bad Homburger Schlosskirche" dank modernem Mäzenatentum dieses architektonischen Kleinods annehmen konnte: Originalgetreu mit behutsamer Liebe zum Detail wurden Kirche und Orgel zu einem wundervollen Konzertsaal restauriert. Heute erstrahlt die Schlosskirche in neuem Glanz und wird durch die mit viel Engagement und Enthusiasmus veranstaltete Konzertreihe "Castle Concerts" mit musikalischen Höhepunkten fürstlich geschmückt.
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ranz Vorraber wurde in Graz (Österreich) geboren. Die Wiener Schule und die deutsche Schule, die er bei Joachim Volkmann, einem Schüler Wilhelm Kempffs kennenlernte, prägten sein Studium, das er mit dem Solistendiplom und einstimmiger Auszeichnung abschloss. Für seine pianistischen Leistungen erhielt er den Bösendorfer-Preis Wien, den Preis des österreichischen Bundesministeriums, den Hans Joachim Erhard Preis. Franz Vorraber erhielt Einladungen als Solist zum Klavierfestival Ruhr, dem Schleswig Holstein Musikfestival, dem Rheingau Festival, dem Wiener Musiksommer, den Klosterfestspielen Maulbronn, dem Choriner Musiksommer, den Europäischen Wochen Passau, dem Mozartfest Würzburg u. a. Er konzertierte in fast allen europäischen Ländern und in den USA und gab Klavierabende in den wichtigsten Städten Japans, und arbeitete mit vielen bedeutenden Dirigenten. Franz Vorraber spielte das Gesamtwerk von Robert Schumann in insgesamt zwölf Konzerten mehrfach in Europa. Seine Gesamtaufnahme des Schumann'schen Klavierwerkes auf 13 CDs bei Thorofon sorgte weltweit für Aufsehen. Den Preis der japanischen Schallplattenkritik erhielt er für seine Solo Aufnahme "Wiener Abend", sowie den Supersonic Award für die Einspielung des Fuchs Klavierkonzertes mit dem Orchestre philharmonique du Luxembourg. Neben seiner pianistischen Tätigkeit widmet sich Franz Vorraber in letzter Zeit auch der Komposition. Zahlreiche Werke wurden bereits aufgeführt und auf CD veröffentlicht.
P
eter Härtling, 1933 in Chemnitz geboren, kam 1946 nach Aufenthalten in Sachsen, Mähren und Österreich ins schwäbische Nürtingen. Nach seiner Schulzeit begann er 1952 seine journalistische Tätigkeit: erst bei schwäbischen Provinzzeitungen, danach 1955-1962 als literarischer Redakteur bei der Deutschen Zeitung in Stuttgart und Köln. Von 1962 bis1970 war er Mitherausgeber der in Berlin erscheinenden Zeitung "Der Monat". Von 1967 bis 1968 war Peter Härtling Cheflektor des S. Fischer Verlags und danach bis 1973 Geschäftsführer. Seit 1974 ist er als freier Schriftsteller tätig. Unter seinen seit 1953 veröffentlichten Gedichten, Aufsätzen, Romanen und Erzählungen, die in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt wurden, sind viele Werke, die eine Auszeichnung erhielten. Sein literarisches Werk wurde 2003 mit dem deutschen Bücherpreis und 2007 mit dem Corine Ehrenpreis ausgezeichnet. Besonders bekannt ist Härtling für seine Romanbiographien großer Dichter und Musiker wie Friedrich Hölderlin, Franz Schubert, Robert Schumann, Wolfgang Amadeus Mozart und Fanny Hensel. In den Jahren 2000 und 2001 war er Präsident der Hölderlin Gesellschaft.
Disc 1
Peter Härtling (born 1933):
1. "Hölderlin - Wie hat er geliebt?"
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791):
2. Rondo for Piano in D Major, K. 485
Peter Härtling:
3. "Die erste Liebe"
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791):
4. Phantasy for Piano in D Minor, K. 475
Peter Härtling:
5. "Ein Abschied von den Gontards"
Robert Schumann (1810-1856):
6. Gesänge der Frühe, Op. 133
Disc 2
Peter Härtling:
1. "Hölderlin - Ein Wanderer der deutschen Literatur"
Peter Härtling:
2. "Die Prinzessin"
Franz Schubert (1797-1828):
3. Impromptu in G-Flat Major, Op. 90 No. 3 (D 899/3)
Peter Härtling:
4. "Hölderlins Wahnsinn"
Franz Schubert (1797-1828):
5. Phantasy in C Major, Op. 15 (D 760)
"Wanderer-Fantasie"