Israel in Egypt von Georg Friedrich Händel (1685-1759)
In England entstand die Gattung "Oratorium" erst zu Anfang des 18. Jahrhunderts. 1720 komponierte Georg Friedrich Händel "Esther und Haman und Mordecai" für den Herzog von Chandos. Noch im gleichen Jahr wurde das Werk in der Residenz des Herzogs aufgeführt - im "Großen Salon", was eine szenische Darstellung mit Kostümen und Handlung vermuten lässt. Weitere private Aufführungen folgten, und als in London eine nicht vom Komponisten autorisierte öffentliche Aufführung angekündigt wurde, gab Händel bekannt, dass er selbst das Werk im Haymarket Theatre herausbringen wolle. Da jedoch der Bischof von London Einspruch erhob, durfte zwar die Musik, nicht aber die theatralische Handlung gespielt werden. Aus diesem eher zufälligen Umstand heraus entstand das erste englischsprachige Oratorium - jene musikalische Gattung, mit der Händel größte Berühmtheit erlangen sollte. "Israel in Ägypten", das fünfte der neunzehn Oratorien, die Händel in England schrieb, entstand im Jahre 1738 in der Rekordzeit von ca. vier Wochen. Die Tinte auf den Notenblättern des "Saul" war kaum getrocknet, als Händel vier Tage später seine Arbeit an "Israel in Ägypten" aufnahm. Leider fand jedoch diese Komposition keine günstige Aufnahme beim Publikum, und so fügte er vier Arien für eine damals in London sehr populäre Sängerin ein. Als auch dies dem Werk nicht zu dem gewünschten Erfolg verhalf, legte er das Stück zunächst beiseite. 1756 plante Händel eine Wiederaufführung des "Israel in Ägypten" und bearbeitete sein Oratorium dafür gründlich. Er ersetzte den ersten Teil, der ursprünglich ein Begräbnis-Anthem für Königin Caroline gewesen war, durch eine gekürzte Fassung des ersten Aktes seines Oratoriums "Salomo". Da für "Israel in Ägypten" keine eigene Ouvertüre vorliegt, folgen daher einige Interpreten - und so auch Jürgen Budday - der Praxis, die Salomo-Ouvertüre dem Werk voranzustellen. Vergleicht man "Israel in Ägypten" mit früheren Oratorien, so stellt man fest, dass die Hauptpartie hier nicht in die Verantwortung eines oder mehrerer Solisten gegeben ist, sondern dem Chor übertragen wurde. Das Werk enthält nicht weniger als 28 doppel-chörige Abschnitte. Auch wurde "Israel in Ägypten" im Gegensatz zu seinen anderen Londoner Oratorien in zwei Teilen publiziert und fast ausschließlich aufgeführt, was sich mit der italienischen Praxis deckt. Das Libretto zu "Israel in Ägypten" wurde vermutlich auch von Händel selbst zusammengestellt, wobei er sich eventuell von Charles Jennens, dem Librettisten des "Messias", dabei beraten ließ. Die anglikanische Liturgie war Händel wohl sehr gut gekannt, denn die Texte, die er wählte, sind sowohl dem Alten Testament als auch der Gebetbuch-Fassung der Psalmen entnommen. Der erste Teil wird von einem Rezitativ eingeleitet, ein weiteres Rezitativ und eine Arie unterbrechen den Fluss des Chores, der alle übrigen Abschnitte bestreitet. In diesem Teil, "Exodus", wird der Auszug des Volkes Israel geschildert, das die Knechtschaft in Ägypten hinter sich lässt: die Plagen, mit denen Gott die Ägypter straft, werden klanglich höchst anschaulich dargestellt: das Sirren und Summen der Insekten, die "ägyptische Finsternis", Unwetter, der Tod der Erstgeborenen. Pastorale Weisen klingen an, wenn der Gott Israels wie ein guter Hirte sein auserwähltes Volk sicher durch das Rote Meer führt, und man hört es toben, wenn die Ägypter mit Ross und Reiter vernichtet werden... Der zweite Teil, "Moses Gesang", ist eine großangelegte Lob- und Siegeshymne. Verfolgung und Errettung werden noch einmal reflektiert und in sich immer weiter steigernder Begeisterung, in Lob und Preis für den Herrn, den Gott der Väter, besungen, bis sie endlich in den von der Seherin Miriam angeführten Schlusschor münden.
Diese Konzertaufnahme von "Israel in Egypt" ist Teil eines Zyklus von Oratorien und Messen, die Jürgen Budday im Rahmen der Klosterkonzerte Maulbronn über mehrere Jahre hinweg aufführt. Die Reihe verbindet Musik in historischer Aufführungspraxis mit dem akustisch und atmosphärisch optimal geeigneten Raum der einzigartigen Klosterkirche des Weltkulturerbes Kloster Maulbronn. Dieser Idealort verlangt geradezu nach der Durchsichtigkeit des Musizierens und der interpretatorischen Freilegung der rhetorischen Gestik der Komposition, wie sie durch die historische Aufführungspraxis in besonderer Weise gewährleistet ist. So wird ausschließlich mit rekonstruierten historischen Instrumenten musiziert, die in den zu Lebzeiten der Komponisten üblichen Tonhöhen gestimmt sind (in dieser Aufführung a' = 415 Hz).

Musique baroque de Telemann
Das Wolfgang Bauer Consort besteht aus befreundeten Musikern, die sich aus Freude am gemeinsamen Musizieren zusammenfinden. Das Ensemble widmet sich hauptsächlich der barocken Kammermusik. An der Spitze des Consorts steht der Trompeter Wolfgang Bauer. Er hatte seit seinem 20 Lebensjahr aufeinander folgende Verträge als Solo-Trompeter der Münchner Philharmoniker, des Radio-Sinfonie-Orchesters Frankfurt und im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Daneben gewann Wolfgang Bauer u.a. den ARD-Wettbewerb in München und den Deutschen Musikwettbewerb. Seit 2000 ist er Professor an der Stuttgarter Musikhochschule. Als Solist konzertierte er mit namhaften Orchestern, wie dem Royal Philharmonic Orchestra London, dem Orchestre National de France, dem London Philharmonic Orchestra, der Dresdner Staatskapelle und vielen deutschen Orchestern, u.a. unter Leitung von L. Maazel, F. Luisi, L. Foster, D. Runnicles und I. Inbal. Uraufführungen, bzw. europäische und dt. Erstaufführungen von Frank Ticheli, Rodion Schtschedrin, Bernhard Krol, David Sawer, Wolfgang Rihm unterstreichen die instrumentalen Fähigkeiten dieses Künstlers, dessen Discographie zahlreiche Kammermusik- und Solo-CD-Einspielungen umfasst. Er rief das Barockensemble "Wolfgang Bauer Consort" ins Leben und ist Initiator des Blechbläserensembles "City Brass Stuttgart". 2009 wurde Wolfgang Bauer mit dem ECHO Klassik als "Instrumentalist des Jahres" ausgezeichnet. In dieser Aufführung zu hören ist Dietlind Mayer (Violine u.a. bei "il capriccio"), Ludwig Hampe (Vorspieler an der Viola im Frankfurter Opern- und Museumsorchester und gefragter Spezialist auf der Viola d´amore) und Petra Müllejans, eine der europaweit führenden Barockgeigerinnen. Sie ist Professorin an der Frankfurter Musikhochschule und Konzertmeisterin, musikalische Leiterin, Solistin und Kammermusikerin des Freiburger Barockorchesters. Einen Schwerpunkt ihrer Arbeit bildet außerdem solistisch besetzte Kammermusik des 17. und 18. Jahrhunderts, die sie mit dem "Freiburger Barock Consort" und dem Ensemble "The Age of Passions" zur Aufführung bringt. Die Holzbläsergruppe bildete Georg Siebert, Ingo Goritzki, Oboe, Prof. an der Stuttgarter Musikhochschule und Arie Hordijk, Fagott. Der Trompetensatz bestand neben Wolfgang Bauer aus Tobias Ziegler und Martin Maier (Stuttgarter Staatsoper) und wurde unterstützt an der Pauke von Gregor Daszko. Den Basso continuo, ohne den keine barocke Musik denkbar ist, bildeten Thomas Strauss am Cembalo und Clemens Weigel am Cello. Beide sind, neben ihrer sonstigen Tätigkeit als Kantor in Oppenau und Cellist im Gärtnerplatztheater in München, Spezialisten auf diesem Gebiet. Am Bass spielte Davide Vittone. Das Ensemble existiert seit 1994. In der Zwischenzeit wurde es u.a. zu Festivals wie dem Rheingau-Musik-Festival, dem Schleswig-Holstein-Festival und dem Kissinger Sommer eingeladen, ebenso zu Rundfunk- und Fernsehproduktionen des Hessischen Rundfunks und des NDR. Erschienen ist eine Live-CD des Wolfgang Bauer Consorts aus dem Kloster Maulbronn, dabei erklingt u.a. das 2.Brandenburgische Konzert von J. S. Bach. Im März 05 wurde bei der Edition See-Igel eine Kinder-CD mit dem Wolfgang Bauer Consort veröffentlicht. Diese Produktion wurde auf der hr2-Bestenliste im Juli 05 ausgezeichnet. Die schlanke Besetzung und die intensive Auseinandersetzung mit den Mitteln der historischen Aufführungspraxis und als Ergänzung eine Repertoireerweiterung durch zeitgenössische Werke haben dem Ensemble einen sicheren Platz im Musikleben zugesprochen. Es gelang Wolfgang Bauer, den Stuttgarter Komponisten Bernhard Krol so für das Ensemble zu begeistern, dass er ihm bereits zwei Kompositionen widmete, deren Uraufführungen in Wiesbaden und Ulm zu begeisterten Publikumserfolgen wurden.

Oper ohne Sänger
Höhepunkte aus der Oper "Carmen" von Georges Bizet (1838-1875)
und der Oper "Don Giovanni" von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
Opern ohne Sänger - Ein kleiner Opern(ver)führer
"Opern könnten eine feine Sache sein", soll Gustav Mahler einmal in seiner Amtszeit als Wiener Operndirektor gemurmelt haben, "wenn da bloß nicht diese Sänger wären!" Was Mahler nur zu murmeln wagte, setzen wir in musikalische Wirklichkeit um: Oper ohne Sänger, mehr sogar: Gleich ZWEI Opern für den gleichen Preis - keinesfalls, um die Sänger zu verdrängen, sondern als Ergänzung und Bereicherung, dargeboten von einem Streicher-Bläser-Ensemble mit den Stilmitteln der klassischen "Harmoniemusik", verbunden mit meiner Erzählung der Handlung. "Harmoniemusik" ... als ich zum ersten Mal dieses Fachwort hörte, klang mir das höchst verdächtig nach ewigem C-Dur-Dreiklang, nach musikalischem Fast-Food und oder gar nach der harmonischsten aller Harmonien, dem Musikantenstadl. Aber das ist sie ganz und gar nicht . Im Gegenteil: Sie ist ein originales Kapitel lebendiger Musikgeschichte. Harmoniemusik ist ein einst sehr populärer und gerade wieder entdeckter Stil des 18. Jahrhunderts, damals, um erfolgreiche Opern dem Publikum auch außerhalb des Theaters zugänglich zu machen, denn es gab ja weder Radio noch CD. Weshalb man von erfolgreichen Werken eine Art "Best-of"- Bearbeitung für fünf bis acht Blasinstrumente machte, oft auch vom Komponisten selber durchgeführt. So berichtet zum Beispiel Mozart seinem Vater, dass er gerade bis über die Ohren damit zu tun hätte, die "Entführung aus dem Serail" für "die Harmonie" einzurichten, und zwar brandeilig, denn, so schreibt er, "sonst kommt mir einer bevor und hat anstatt meiner den Profit davon". Denn das Urheberrecht war damals eine Sache der Geschwindigkeit: Wer als erster die Noten fertig hatte, kassierte auch, und zwar nicht wenig, denn erst die Harmonie-Version war es, die eine Oper so richtig unters Volk brachte. Und durch die Blasinstrumente war für die nötige Mobilität gesorgt - man konnte damit von Salon zu Salon ziehen, und wenn nötig, auch in die Vorstadt-Kneipe. Nichts auf der Welt kann ein Opernhaus und seine Sänger ersetzen. Wer aber - Hand aufs Herz - versteht wirklich alle die Fein- und Bosheiten des italienischen Librettos von "Don Giovanni" oder der französischen Texte von "Carmen"? Und selbst wenn eine deutschsprachige Fassung geboten wird, was bei "Don Giovanni" fast einer Vergewaltigung gleich kommt, bleibt die Text- und Handlungsverständlichkeit in der gesungenen Fassung zwangsläufig außen vor. Weshalb die Harmonie-Version die große Chance bietet, sich zusätzlich zur Musik auch mal ganz ausführlich mit den Libretti zu befassen, zumal sie beide von großen Könnern stammen - "Don Giovanni" von Lorenzo da Ponte und "Carmen" auf der Grundlage eines Romans von dem Erfolgsduo Meilhac-Halevy, den Textdichtern der "Fledermaus". Die beiden Opern werden vom Arte-Ensemble in einer gemischten Streich-Bläser-Fassung geboten, die dem originalen Klang näher kommt als die reine Harmoniemusik. Sie bietet dem Opernkenner ein spannendes Zusatzerlebnis: Manche Arie, vor allem aber die Duette und Terzette hören wir auf einmal so viel durchsichtiger und klarer. Zusammen mit meiner Erzählung verspreche ich Ihnen einen spannenden Abend... auch wenn ich weiß, dass es unschicklich ist, sich selber zu loben. Aber ich schwöre Ihnen: Gustav Mahler hätte bestimmt seinen Spaß daran.
Herbert Feuerstein

Grand Piano Masters · Comme un jeux d'eau
Werte Freunde audiophiler Musik. Der große Konzertflügel ist unbestritten der König unter den Instrumenten. Ich könnte jetzt auf seine unvergleichliche Dynamik, den zartesten Klang im leisen Moll bis hin zum mächtigen Anschlag im Fortissimo eingehen oder von seiner beeindruckenden Grösse und Eleganz schwärmen. Doch wirklich faszinierend ist die Individualität, denn jedes Instrument ist ein Unikat - von Meisterhand geschaffen. Es hat ein Eigenleben, auf das sich der Virtuose einlässt und so das Werk des Komponisten zum Leben erweckt. In unserer Reihe "Grand Piano Masters" gehen wir auf den Charakter, auf die Seele des grossen Konzertflügels ein und erleben während der Aufführung den Dialog zwischen Instrument, Virtuose und Raum. Sie hören auf dieser CD den ersten Live-Mitschnitt eines Solokonzertes mit dieser jungen Ausnahmekünstlerin Magdalena Müllerperth.
Josef-Stefan Kindler, K&K Verlagsanstalt

Die Messe in H-Moll, BWV 232, von Johann Sebastian Bach (1685-1750)
Die h-Moll-Messe Johann Sebastian Bachs ist eine Ordinariumsmesse, welche die fünf gottesdienstlichen Hauptstücke des Chores bzw. der Gemeinde mit stets gleich bleibendem Wortlaut enthält. Es sind dies KYRIE, GLORIA, CREDO, SANCTUS mit OSANNA und BENEDICTUS sowie AGNUS DEI. Da in der evangelischen Kirchenmusik die Kurzmessen, bestehend aus Kyrie und Gloria, eine weitaus größere Bedeutung als die vollständigen haben, bürgerte sich hier statt des Begriffes "Missa brevis" lediglich die Bezeichnung "Missa" ein. Diese verwendet auch Bach für das Kyrie und Gloria der h-Moll-Messe. Deren Widmung vom 27. Juli 1733 an den Kurfürsten August den 11. von Sachsen verband Bach mit dem Gesuch um den Titel eines Hofkompositeurs, den er dann nach einem weiteren Schreiben an diesen 1736 erhielt. Die Chronologieforschungen von Alfred Dürr, Georg von Dadelsen und in jüngster Zeit von Joshua Rifkin datieren Komposition und Aufführung des Sanctus bereits in das Jahr 1724. Die übrigen Teile, "Credo" bis "Dona nobis pacem", entstanden erst in Bachs letzten Lebensjahren, etwa 1747-49. Bach vereinte damals die Missa von 1733, von der eine Aufführung durch ihn selbst nur vermutet wird, mit dem Symbolum Nicenum"(Credo)", trug das Sanctus, das er an Weihnachten 1724 aufgeführt hatte, in die Partitur ein und fügte als vierten Teil "Osanna", "Benedictus", "Agnus Die" und "Dons nobis pacem" hinzu, wobei die fehlenden Messeteile neu komponiert werden mussten. Zu diesem Zweck griff er auf frühere geistliche und weltliche Kantaten zurück und formte sie in Messesätze um. So sind die neu geschaffenen Sätze, nämlich "Credo in unum Deum", "Et in unum Dominum", "Et incarnatus est", "Et in spiritum sanctum" und "Confiteor" mit aller Wahrscheinlichkeit Bachs letzte Kompositionen geistlicher Texte. Im Gegensatz zu den anderen Oratorien, den Kantaten und Passionen, die für von Bach selbst geleiteten Aufführungen komponiert wurden, entstand die h-Moll-Messe ohne den konkreten Anlass einer Aufführung. Bach fasst in diesem Werk mit souveräner Meisterschaft die Stilrichtungen vor ihm gewesener und der ihn umgebenden geistlichen und weltlichen Musik zusammen und nimmt Stellung zu den Grundfragen christlichen Glaubens. Von der objektivierenden Deutung des Credo über das grüblerische "Et exspecto ressurectionem mortuorum bis zum enthusiastischen Jubel des "Cum sancto spiritu" reicht die Weite und Tiefe seines Begreifens. Lange nach Bachs Tod, im Jahre 1786 fand die Erstaufführung des "Symbolum Nicenum" (Credo), das Bach selbst wohl nie gehört hat, unter der Leitung seines Sohnes Carl Philipp Emanuel Bach in Hamburg statt. 1835 erfolgte dann die erste Gesamtaufführung der H-Moll-Messe durch die Berliner Singakademie unter der Leitung von Carl Friedrich Rungenhagen. Die Komposition des KYRIE 1 beginnt Bach mit einer akkordischen Adagio-Einleitung, einem Aufschrei von höchster innerer Spannung. Damit setzt er eine Überschrift nicht nur über das Kyrie, sondern über die ganze Messe. Erst die folgende Kyrie-Fuge legt er, wie die anderen Einleitungssätze seiner Oratorien und Kantaten, auf eine allmähliche Entwicklung an. Die "sprechende Spielweise" der Barockzeit, welche die Musik als eine "Rede in Tönen" verstand, ermöglichte es, vokale Partien instrumental einzuleiten. So wird auch das Thema des Kyrie zuerst instrumental exponiert, bevor es von den Singstimmen aufgenommen wird. In dem Fugenthema des "Kyrie eleison" wird zum ersten mal in dieser Messe chromatisches Material mit dem ihm eigenen Ausdruckswert eingesetzt. Wie in der musikalischen Rethorik des Barocks gehört auch hier zur Figur der "Exclamatio" (Ausruf), das stufenweise Ansteigen, die "Gradatio". Bei den immer wieder vorkommenden, durch Achtelpausen unterbrochenen Zwischenspielfiguren handelt es sich um die "Suspiratio" (Seufzerfigur), eines der Grundsymbole Bachscher Tonsprache, das den Charakter des Kyrie 1 wesentlich mitbestimmt. Das "Christe eleison", ein Duett für zwei Soprane (im heutigen Konzert mit Sopran und Alt besetzt) mit zweistimmigem Instrumentalsatz (Violinen und Basso continuo) verweist auf Christus, die zweit Person der Trinität. Der häufige Wechsel von Terz- und Sextparallelen zu imitierender Selbständigkeit symbolisiert Einheit und zugleich Verschiedenheit der göttlichen Person. Um eine Hinweis auf das gemeinsame überkonfessionelle Erbe zu geben, schreibt Bach im "Kyrie 11" einen motettischen Satz im alten Kirchenstil (Palestrinastil oder stile antico), wobei die Instrumente colla parte mit dem Chor geführt sind. Wesentliches Kennzeichen sind die nach oben und unten ausweichenden Halbtonschritte und die Kreuzesfigur im Kopf des Fugenthemas. Diese und zahlreiche chromatische Durchgänge unterstreichen den Charakter des Textes als Bittruf. Der Text des Gloria-Teiles, der sich aus der Weihnachtsgeschichte (Lukas 2, Vers 14) und dem "Laudamus", einem altkirchlichen Hymnus zusammensetzt, teilt Bach in acht Sätze auf. Als Kontrast zum "Kyrie II" setzt er im Gloria in excelsis Deo" die volle Orchesterbesetzung mit Trompeten und Pauken ein, tauscht die dunkel klingenden Oboi d'amore gegen die normalen Oboen aus und nutzt dabei die konzertante Technik mit deutlich virtuoser Komponente. Dieser Satz stellt eine Art "Himmelskonzert" (W. Blankenburg) dar. Die Dur-Dreiklänge und der Dreiachteltakt (tempus perfectum) verweisen dabei auf die Trinität; ein Symbol, das man in der h-Moll-Messe häufig findet. Nach den letzten Takten des Gloria, in denen der Sopran in extrem hohe Lagen geführt wird, folgt mit dem "et in terra pax" (Friede auf Erden) der größtmögliche Gegensatz: tiefe Lage von D-Dur in die Unterdominante G-Dur, Pausieren der Trompeten und Pauken und Taktwechsel in den ruhigeren Viervierteltakt (tempus imperfectum). Der Chor, hier nur vom Generalbass begleitet, leitet diesen mit den Worten "et in terra pax" (und Friede auf Erden) ein. (Deren Tonfolge hatte übrigens Radio Bremen als Pausenzeichen gewählt!) Mit dem vollständigen Wortlaut dieses Textes setzt nun eine Fuge ein, die zur Grundtonart D-Dur zurückführt und in der sich mit dem letzten Einsatz des Fugenthemas durch die erste Trompete "göttliche und menschliche Welt vereinigen" (W. Blankenburg). Das "Laudamus te" vertont Bach in einem dem Concerto grosso ähnlichen Satz, in dem Solo-Violine und Solo-Sopran II (im heutigen Konzert durch Alt ersetzt) in subtiler Weise den Lobpreis des Textes deuten. Der Chorsatz "Gratias agimus tibi", als vierstimmiger motettischer Satz komponiert, basiert auf der Ratswechselkantate "Wir danken dir, Gott" (BWV 29). Der Lobpreischarakter wird hier durch die Erweiterung zur Siebenstimmigkeit durch den späteren Einsatz der Trompeten und Pauken unterstrichen. Im Mittelpunkt der Sätze "Domine Deus", "Qui tollis peccata" und "Qui sedes" steht die Anruf des "Agnus Die" (Lamm Gottes). Das Duettt "Domine Deus" ist wie bereits das "Christe eleison" und das "Et in unum Dominum Jesum Christum" im Credo, von der musikalisch-symbolischen Darstellung von Gott Vater und Gott Sohn bestimmt. Die Solo-Flöte wird von den Violinen und Viola "con sordino" (mit Dämpfern) und von den Bässen "pizzicato" (gezupft) begleitet. Der zentrale Mittelsatz "Qui tollis" drückt die Bitte um Erbarmen durch den expressiven Charakter des Chores, der hier durch das Fehlen des Sopran 1 eine dunklere Klangfarbe erhält, und die Führung der beiden Flöten aus. Die Verhaltenheit des "Qui tollis" wirkt weiter in der folgenden Arie "Qui sedes". Solo-Alt und Oboe d'amore werden hier von den Streichern begleitet. Die beiden den Gloria-Teil abschließenden Sätze "Quoniam tu solus sanctus" und "Cum sancto spiritu" bilden textlich und auch musikalisch eine Einheit. Die ganz ungewöhnlich instrumentierte Bass-Arie mit Corno da caccia (Jagdhorn), zwei obligaten Fagotten und Generalbass symbolisiert die göttliche Majestät Christi. Das Hornthema it durch seine Symmetrie (vorwärts und rückwärts gelesen ergibt sich dieselbe Tonfolge) und den Oktavsprung Sinnbild für die allumfassende Totalität Gottes. Das direkt anschließende "Cum sancto spiritu" entspricht dem einleitenden "Gloria in excelsis Deo", übertrifft dieses aber in der konzentrierten Nutzung aller Gruppen des Ensembles und in dem spielerischen Umgang mit kontrapunktischer Satztechnik. Besonders ausgeprägt ist im "Symbolum Nicenum", dem Credo, die musikalische Gliederung nach architektonisch-symmetrischen Prinzipien. Das Zentrum bilden die drei Chorsätze, die sich auf Christus beziehen: "Et incarnatus est", "Crucifixus", "Et ressurexit". Dieses wird umgeben von zwei solistischen Sätzen, Dem Duett "Et in unum Dominum" und der Arie "Et in spiritum sanctum". Den Rahmen bilden jeweils ein Chorpaar, in dem auf einen quasi A-capella-Chorsatz ein Tuttichor folgt: ""Credo in unum Deum" - "Patrem omnipotentem" sowie "Confiteor" - "Et expecto". Eine wichtige Rolle spielt hier die Sieben als Symbol der göttlichen Vollkommenheit: siebenstimmiger Satz (fünf Vokalstimmen und zwei Violinen über einem Andante-Ostinatobass) im "Credo in unum Deum" über eine gregorianische Credo-Intonation. Die Menschwerdung Christi am Beginn des Mittelteiles wird unterstrichen durch abfallende Dreiklangfiguren der Violinen im "Et incarnatus". Mit diesen Figuren, welche den "Chiasmus" (Kreuzesfigur) enthalten, weist Bach bereits bei der Geburt Christi auf dessen Kreuzigung hin. Der zentrale Satz des Credo ist der Klagechor des "Crucifixus" mit der Chaconne, einer Folge von Variationen über das Thema des chromatisch absteigenden Lamento-Basses. Das daran unmittelbar anschließende "Et resurrexit" bildet mit der einleitenden Devise auf einem D-Dur Dreiklang und in voller Orchesterbesetzung den größtmöglichen Gegensatz. Hingewiesen sei noch auf das "et exspecto", in dem Bach in dichtester Folge von Modulationen den gesamten Quintenzirkel durchschreitet, um so die totale Verwandlung des Menschen durch die Auferstehung deutlich zu machen. Ebenso verfährt Johannes Brahms in seinem 1861/68 entstandenen "Deutschen Requiem" (op. 45) an der Textstele "Wir werden alle Verwandelt" im 6. Teil. Auf demselben Text (et expecto...) beendet Bach den Credo-Teil, in dem er den Jubel über die Auferstehung mit allen zur Verfügung stehenden Kräften ausbrechen lässt. Die Symbolik im Sanctus lässt sich durch die Anspielung auf die Jesaja-Vision erklären. Es heißt dort: "Des Jahres, da der König Usia starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Stuhl und sein Saum füllte den Tempel. Seraphim standen über ihm, ein jeglicher hatte sechs Flügel. Mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße und mit zweien flogen sie. Und einer rief zum andern und sprach: " Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, aller Lande sind seiner Ehre voll!" (Jesaja 6, Vers 1 - 4). Schon die Besetzung zeichnet dieses Bild nach, da sich sechs gleichwertige Klanggruppen ergeben: drei Trompeten, drei Oboen, drei Streicher (Violine 1 u. 2, Viola), sechsstimmiger Vokalchor, aufgeteilt in zwei dreistimmige Chöre, sowie Basso continuo. Dieser, zumeist mit dem Singbass zusammengeführt, verdient noch besondere Beachtung, da er zu den ersten Takten genau gleichzeitig mit den Trompeten, Pauken und Oboen sowie nit dem tieferen Halbchor sein erstes Dreimalheilig in Form von drei Oktavsprüngen auf dem Grundton D bringt; das ist wiederum nichts anderes als ein Bild der Totalität Gottes. Der Satz ist in zwei große Teile gegliedert. Der erste wiederholt in stetiger Triolenbewegung und im wechselseitigem Dialog zwischen hohen und tiefen Chorstimmen den ersten Textabschnitt, während der Vokal- und Instrumentalbass in Oktavsprüngen fortschreitet. Der zweite Teil schließt mit Taktwechsel die zweite Texthälfte ("Pleni sunt coeli") an: zunächst in einer A-cappella-Chorfuge, dann in breiter Tuttiverarbeitung des Fugenthemas. Für die Wahl eines weltlichen Chorsatzes ("Preise dein Glücke, gesegnetes Sachsen", BWV 215) zur Umarbeitung für das "Osanna in excelsis" spielt die Tatsache, daß in der Barockzeit Herrscherlob und Gotteslob eng miteinander verbunden waren, eine wichtige Rolle. Mit ausschlaggebend war aber auch die Ähnlichkeit mit dem zweiten Thema im vorausgegangenen "Pleni sunt coeli", dessen Gestalt genau mit dem Thema des oben erwähnten weltlichen Chorsatzes entspricht. Durch seine Doppelchörigkeit (zwei vierstimmige Vokalchöre) mit voller Orchesterbesetzung ist das "Osanna" der vielstimmigste Satz der gesamten Messe. Nach der Klangentfaltung in diesem Satz ist das dreistimmige "Benedictus" (Tenor, Traversflöte und Generalbass) von meditativer Verhaltenheit bestimmt. Die Alt-Arie "Agnus Dei", eine Parodie aus dem Himmelfahrtsoratorium (BWV 11), steht mit ihrem g-Moll außerhalb des Tonartenkreises der h-Moll-Messe. Die instrumentale Einleitung, in der der "Passus duriusculus" (harter Schritt) und der "saltus duriusculus (harter Sprung) häufig vorkommen, verweist auf das Kyrie und unterstreicht den flehenden Charakter dieses Satzes. Mit dem abschließenden "Dona nobis pacem" greift Bach auf das "Gratias agimus tibi" im Gloria zurück, um damit die Einheit der ganzen Messe zu bestätigen. Als Abschluß dieses groß dimensionierten Werkes drückt dieser Satz mit voller Orchesterbesetzung gleichzeitig die Bitte um Frieden und die lobpreisende Verherrlichung Gottes aus.
Uli Kiefner
Diese Konzertaufnahme der H-Moll-Messe ist Teil eines Zyklus von Oratorien und Messen, die Jürgen Budday im Rahmen der Klosterkonzerte Maulbronn über mehrere Jahre hinweg aufführt. Die Reihe verbindet Musik in historischer Aufführungspraxis mit dem akustisch und atmosphärisch optimal geeigneten Raum der einzigartigen Klosterkirche des Weltkulturerbes Kloster Maulbronn. Dieser Idealort verlangt geradezu nach der Durchsichtigkeit des Musizierens und der interpretatorischen Freilegung der rhetorischen Gestik der Komposition, wie sie durch die historische Aufführungspraxis in besonderer Weise gewährleistet ist. So wird ausschließlich mit rekonstruierten historischen Instrumenten musiziert, die in den zu Lebzeiten der Komponisten üblichen Tonhöhen gestimmt sind (in dieser Aufführung a' = 415 Hz).